Gescheiter scheitern mit KI - Sozialer Abstieg?
Wird mehr Arbeit mit Künstlicher Intelligenz zu mehr Vereinsamung der Menschen führen? Eine neue Studie sieht da zumindest einen statistischen Zusammenhang. Bildrechte: IMAGO / aal.photo / MDR Wissen

KI-Kolumne Werde ich durch die KI zum einsamen, schlaflosen Trinker?

14. August 2023, 16:13 Uhr

In einer Forschungsarbeit wurde ein Zusammenhang zwischen der Arbeit mit Künstlicher Intelligenz und Folgen wie Einsamkeit, Schlaflosigkeit und erhöhtem Alkoholkonsum festgestellt. Muss Kilian Irrgang Angst haben?

Ich bin Kilian Irrgang*. Und ich fühle mich angesprochen. Von Forschungsergebnissen aus den USA und Asien. Dabei war ich dort noch nie. Aber in diesen Regionen wurden vier wissenschaftliche Untersuchungen gemacht, und deren Ergebnisse, die heute im "Journal of Applied Psychology" veröffentlich wurden (hier als PDF), machen mir Sorgen.

Kulturübergreifend wurde da in den USA, Taiwan, Indonesien und Malaysia ein durchaus beängstigender Zusammenhang festgestellt zwischen der häufigen Arbeit mit KI-Systemen und Einsamkeit. Diese Einsamkeit wiederum führte dann oft zu Schlaflosigkeit und erhöhtem Alkoholkonsum nach der Arbeit, heißt es in der Studie. Klingt leider nicht ganz unplausibel, oder?
"Der rasante Fortschritt bei KI-Systemen löst eine neue industrielle Revolution aus, die den Arbeitsplatz mit vielen Vorteilen, aber auch einigen unbekannten Gefahren umgestaltet, darunter potenziell schädliche psychische und physische Auswirkungen für die Mitarbeiter", sagt Studienleiter Pok Man Tang von der University of Georgia und fügt noch hinzu: "Der Mensch ist ein soziales Wesen, und die Isolierung der Arbeit durch KI-Systeme kann schädliche Auswirkungen auf das Privatleben der Mitarbeiter haben."

Immerhin wurde bei den Viel-KI-Nutzern auch eine erhöhte Hilfsbereitschaft festgestellt, aber diese Reaktion könnte auch wieder eine Folge der Einsamkeit und des Bedürfnisses nach sozialen Kontakten sein, sagen die Forscher.

Na, das kann ja heiter werden. Ich arbeite relativ oft mit der KI, zwar nicht rund um die Uhr, aber doch deutlich häufiger als der Durchschnitt der Menschen, möchte ich behaupten. Bin ich mit den Probanden aus den vier Untersuchungen vergleichbar? Zum Glück nicht wirklich. Ich teste die KI zwar gern und schreibe über sie. Ich scheitere an ihr, fluche über sie und lache sie aus. Aber die KI ist für meine Arbeit zum Glück nicht zwingend nötig. Anders ist das offenbar bei den Probanden der Studie.

Ingenieure und Immobilienberater

In einem Experiment wurden 166 Ingenieure eines taiwanesischen biomedizinischen Unternehmens, die mit KI-Systemen arbeiteten, drei Wochen lang zu Gefühlen wie Einsamkeit, Bindungsangst und Zugehörigkeitsgefühl befragt. Kollegen bewerteten die einzelnen Teilnehmer außerdem nach ihrer Hilfsbereitschaft, und Familienmitglieder berichteten über die Schlaflosigkeit der Probanden und deren Alkoholkonsum nach Feierabend. Ergebnis: Mitarbeiter, die häufiger mit KI-Systemen interagierten, litten eher unter Einsamkeit, Schlaflosigkeit und erhöhtem Alkoholkonsum nach der Arbeit, zeigten aber auch hilfsbereite Verhaltensweisen gegenüber ihren Kollegen.

In einem weiteren Experiment mit 126 indonesischen Immobilienberatern wurde die Hälfte der Teilnehmer angewiesen, an drei aufeinanderfolgenden Tagen keine KI-Systeme zu verwenden, während die andere Hälfte als Vergleichsgruppe so viel wie möglich mit KI-Systemen arbeiten sollte. Die Ergebnisse jener KI-Power-User ähnelten denen des Experiments in Taiwan, außer dass es in Indonesien keinen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der KI-Nutzung und dem Alkoholkonsum nach der Arbeit gab.

Die KI wird sich weiter ausbreiten, daher müssen wir jetzt handeln.

Prof. Pok Man Tang, University of Georgia

Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kamen dann noch ein Online-Experiment mit 214 vollzeitbeschäftigten Erwachsenen in den USA und ein weiteres mit 294 Mitarbeitern eines malaysischen Technologieunternehmens.
So weit, so ungut. "Die KI wird sich weiter ausbreiten, daher müssen wir jetzt handeln, um die potenziell schädlichen Auswirkungen für Menschen, die mit diesen Systemen arbeiten, zu verringern", warnt Studienleiter Tang.

Ich bin geneigt, ihm in der Analyse Recht zu geben, nicht aber bei einem seiner "Verbesserungsvorschläge". Pok Man Tang sagt nämlich auch noch, dass Entwickler von KI-Technologien in Zukunft in Betracht ziehen sollten, KI-Systeme mit sozialen Funktionen auszustatten, zum Beispiel einer menschlichen Stimme, um menschenähnliche Interaktionen zu emulieren. Aber wird man dann nicht erst recht zum Freak, wenn man den ganzen Tag mit der KI redet? Zumal, wenn sie immer freundlich ist nicht ständig schnippisch widerspricht wie die Frau oder der Mann zu Hause? Ich sehe da freiwillige Überstunden auf einen Teil der Menschheit zukommen - und damit doch wieder mehr Einsamkeit ...

Keine Kausalität

Wie in so vielen Studien bedeuten auch hier statistisch belegbare Zusammenhänge noch keine Kausalität, das betont die verantwortliche Forschungsgruppe ausdrücklich. Soll heißen: Wenn KI-Arbeit mit Einsamkeit einhergeht, weiß man trotzdem noch nicht, ob das eine die Ursache für das andere ist. Und falls doch, in welche Richtung? Also, macht Arbeit mit der KI einsam? Oder suchen ohnehin schon einsame Menschen vielleicht bevorzugt Arbeitsplätze, in denen sie es mit Künstlicher Intelligenz statt Menschen zu tun haben? Vielleicht fühlen sich diese Menschen sogar ganz wohl dabei. Abgesehen von den Schlafstörungen natürlich. Aber da hilft ja Alkohol. Neiiiin!

Aber fragen wir doch einfach mal die KI, ob so eine Kausalität bestehen könnte. Ich öffne also einen neuen Dialog mit ChatGPT und frage ihn:

Hältst du es für möglich, dass Menschen, die viel mit der KI arbeiten, zunehmend an Einsamkeit leiden und dadurch Schlafstörungen bekommen und mehr Alkohol trinken?

Der Bot scheint nur auf die Frage gewartet zu haben und schreibt eine kleine, aber feine Abhandlung:

Es ist möglich, dass intensive Interaktionen mit künstlicher Intelligenz (KI) Einfluss auf soziale Beziehungen und damit verbundene psychologische Aspekte haben können, einschließlich Einsamkeit, Schlafstörungen oder Alkoholkonsum. Allerdings sollte man dabei nicht KI als eigenständige Ursache solcher Phänomene betrachten. Vielmehr ist sie Teil eines größeren gesellschaftlichen Kontextes, der technologischen Fortschritt, Arbeitspraktiken und soziale Normen umfasst.

Erstens ist es wichtig zu betonen, dass KI keine menschliche Interaktion ersetzen kann. Während KI nützlich sein kann, um Aufgaben zu erledigen oder Informationen zu liefern, fehlt ihr die emotionale und soziale Komponente, die bei der Interaktion mit Menschen vorhanden ist. Das bedeutet, dass Menschen, die übermäßig auf KI vertrauen und menschlichen Kontakt vermeiden, tatsächlich einsamer sein könnten.

Zweitens, Menschen, die intensiv mit KI arbeiten, sind möglicherweise auch intensiveren Stressfaktoren ausgesetzt, die mit der digitalen Arbeitswelt verbunden sind - wie die ständige Erreichbarkeit, der Druck, schnell zu reagieren, und die Schwierigkeit, Arbeit und Privatleben zu trennen. Diese Faktoren könnten Schlafstörungen verursachen und zum erhöhten Alkoholkonsum führen.

Drittens, der Umgang mit KI kann auch zu einer Verschiebung der Arbeitspraktiken und -strukturen führen, die soziale Isolation fördern könnten. Wenn Aufgaben zunehmend von KI übernommen werden, könnten Arbeitskräfte isoliert oder aus bestimmten Rollen gedrängt werden, was wiederum zu Einsamkeit und damit verbundenen Problemen führen könnte.

Es ist daher wichtig, bewusst Strategien zur Förderung von gesunden Arbeitsgewohnheiten und sozialen Beziehungen in technologieintensiven Umgebungen zu entwickeln und umzusetzen. KI sollte als Werkzeug gesehen werden, das den Menschen dient, und nicht als Ersatz für menschliche Interaktion und soziales Engagement.

Wow. Das hätte auch von Studienleiter Professor Tang stammen können, finde ich. Der gab zum Thema außerdem noch zu Protokoll, dass Arbeitgeber auch die Häufigkeit der Arbeit mit KI-Systemen einschränken und ihren Mitarbeitern die Möglichkeit bieten könnten, Kontakte zu knüpfen.
Und er schlägt vor, die Entscheidungsfindung im Team und andere Aufgaben, bei denen soziale Beziehungen wichtig sind, könnten von Menschen übernommen werden, während sich KI-Systeme eher auf langweilige und sich wiederholende Aufgaben konzentrieren könnten.

Tja, und wo finde ich mich nun in alldem wieder? Ich will mal so sagen: Mein Drang, mich mit vielen Menschen zu umgeben, mein Einschlafverhalten, mein Alkoholkonsum und meine Hilfsbereitschaft haben sich seit der Einführung ernstzunehmender Künstlicher Intelligenz und meinem Umgang mit ihr kein bisschen verändert. Keine Kausalität! Nicht mal eine Korrelation. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich beobachte das.

Herzlichst,
Ihr Kilian Irrgang

*PS Kilian Irrgang ist, Sie ahnen es vermutlich schon, ein Pseudonym. Wir nutzen es, um über verschiedene gesammelte Erfahrungen und Erlebnisse aus der Arbeit mit KI in der Redaktion MDR WISSEN zu berichten.

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https://www.mdr.de/wissen/audios/einsamkeit-hat-folgen-fuer-das-gehirn100.html

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