Kommunalwahl 2024 Kurde kandidiert als Stadtrat in Magdeburg: "Fühle mich als Machdeburger"

22. April 2024, 09:41 Uhr

Etwa sieben Prozent der Menschen, die in Sachsen-Anhalt leben, haben eine Migrationserfahrung. In der Politik sind sie kaum sichtbar und vertreten. Nun kandidieren mehrere junge Menschen für kommunale Ämter, darunter Aram Badr und Boleslaw Kowalski in Magdeburg. Ein Landesnetzwerk unterstützt sie dabei. Vor allem Badr setzt sich für Menschen ein, die nach Sachsen-Anhalt kommen, aber beide Kandidaten haben Ziele für ihre Stadt abseits von Migrationspolitik.

MDR San Mitarbeiterin Julia Heundorf
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Als der kurdische Student Aram Badr im vergangenen Jahr überlegt, für den Stadtrat Magdeburg zu kandidieren, wird gerade das Parteibüro des halleschen SPD-Politikers und Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby angegriffen.

Der 30-Jährige zögert. "Die Gewalt gegen Migranten nimmt zu", sagt er. Auch andere Politiker würden angegriffen und schikaniert. Badr erzählt: "Es hat schon Drohungen gegeben: Misch' dich nicht in deutsche Sachen ein. Du bist nicht Deutsch."

SPD Magdeburg stellt syrischen Kandidaten auf Listenplatz 1

Aber die SPD Magdeburg hat Badr in seinem Wahlbereich Listenplatz 1 zugeteilt. Die stellvertretende Ortsverbandsvorsitzende und Stadträtin Julia Brandt sagt: "Wir haben uns riesig gefreut, als er zugesagt hat." Es ist wichtig, sagt sie, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Stadtrat repräsentiert werden, vor allem, weil die Stadt gerade internationaler werde.

Am 9. Juni 2024 bei der Kommunalwahl wird Badrs Name auf den Wahlzetteln im Magdeburger Wahlbereich 2 – Neue Neustadt und Neustädter Feld – stehen: Er kandidiert in einem Viertel, in dem viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, so wie er. Und das auch als Problemviertel gilt.

Neue Neustadt in Magdeburg gilt als Problemviertel

"Ich will dieses böse Bild mal abschaffen. Wir sind kein Brennpunkt", sagt Badr. "Wir sind ein Stadtviertel, das vielfältig ist." Es gebe auch soziale Probleme. Man müsse aber nur mal einen Samstagnachmittag durch das Viertel gehen, so Badr, und könne sehen, dass das Bild nicht mit der medialen und politischen Darstellung vom Brennpunkt übereinstimmt.

Ich will dieses böse Bild mal abschaffen. Wir sind kein Brennpunkt!

Aram Badr Kandidat für den Stadtrat Magdeburg

Der Student ist einer von wenigen Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationshintergrund, die bei der Wahl antreten. Mit Unterstützung des Landesnetzwerks Migrantenorganisationen (Lamsa) vernetzen sich die vor allem jungen Politikerinnen und Politiker aus Halle und Magdeburg.

Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt: Kandidaten mit Migrationshintergrund schließen sich zusammen

Ihr Projekt nennen sie "7 Prozent". Denn: Etwa sieben Prozent der deutschen Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt hatten 2022 nach Zahlen des Mikrozensus einen Migrationshintergrund, 217.000 Personen. In der kommunalen Politik sind Personen mit Migrationsgeschichte bisher aber kaum vertreten.

Das neue Netzwerk will das ändern. Viele Teilnehmer treten für die SPD an, zum Beispiel auch Musa Yilmaz und Dalal Mirzo in Halle. Auch ein CDU-Kandidat beteiligt sich: Boleslaw Kowalski, der in Magdeburg für die Altstadt kandidiert. Der Lamsa-Verein organisiert Workshops, etwa über Hass im Netz. Die Mitglieder unterstützen sich gegenseitig.

Verkehr, Wohnraum, Digitalisierung und Sicherheit als Themen für Stadtratswahl Magdeburg

Aram Badr will als Politiker aber nicht nur migrationspolitische Themen besetzen: "Meine persönliche Erfahrung hat aber eine Rolle gespielt." Gerade in der Verwaltung merke er: Da fehlt was. Behörden bräuchten mehr interkulturelle Öffnung.

Das Thema Intel verstärke diese Notwendigkeit: "Wir müssen im Voraus die Bedingungen für die Menschen erleichtern, die zu uns kommen. Aber auch mehr barrierefreie Haltestellen und bessere Anbindung des öffentlichen Nahverkehrs sind Themen, die ihm nach eigenen Worten wichtig sind, außerdem die Wohnungspolitik.

Auch Boleslaw Kowalski spricht mit Blick auf seine politische Arbeit kaum über das Thema Migration an sich. Beide Nachwuchspolitiker sind sich einig, dass Integration auch eine Querschnittsaufgabe ist. Wichtig ist Kowalski deshalb etwa eine digitale Verwaltung, außerdem das Thema Sicherheit.

Kandidat aus Syrien: "Fühle mich als Machdeburger"

In Neue Neustadt und Neustädter Feld hängen seit einigen Wochen nun die Plakate mit Aram Badrs Gesicht. An der Straßenbahn habe er schon zwei Jungs überhört, die über sein Plakat geredet haben. Man könne ihn nicht wählen, er sei nicht Deutsch.

Aber Badr sagt: "Ich fühle mich als Machdeburger." Der Großteil seiner Biographie sei in Magdeburg: Studium, Arbeit und auch der Alltag seit Jahren.

Er hat viele Freunde in der Stadt. In seinem Kiez rund um den Moritzplatz grüßt er bei einem Rundgang alle paar Minuten Freunde und Bekannte. "Das ist mein Nachbar", sagt er und geht den Mann begrüßen. Sie unterhalten sich kurz auf Deutsch. Badr ist Kurde aus Syrien, sein Nachbar Rumäne. Nun leben beide in Magdeburg.

Familie in Syrien politisch aktiv

Aber die Integration sei für ihn und seine Familie nicht einfach gewesen – wegen der Sprache, wegen der Bürokratie, aber vor allem auch wegen Rassismus. Sie leben seit 2013 in Sachsen-Anhalt, seit 2017 in Magdeburg.

Es gibt das eigentlich nicht in Syrien: Politik ausüben. Man hat einfach dafür gekämpft, Politik machen zu dürfen.

Aram Badr Kandidat für Stadtrat Magdeburg

Sein Vater und auch er selbst waren in Syrien schon politisch aktiv, aber er sagt: "Es gibt das eigentlich nicht in Syrien: Politik ausüben. Man hat einfach dafür gekämpft, Politik machen zu dürfen." Es gebe keine Demokratie, keine demokratischen Wahlen.

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In Sachsen-Anhalt leben mehrere hunderttausend Menschen mit Migrationshintergrund. In der Politik sind sie kaum vertreten. Die SPD Magdeburg stellt nun Aram Badr aus Syrien in Neue Neustadt auf Listenplatz 1 auf.

MDR SACHSEN-ANHALT Fr 19.04.2024 14:16Uhr 00:18 min

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In Deutschland hingegen übe man Politik aus. Auf die Frage, warum er kandidiert, sagt der junge Mann: "Ich mache damit von meinem Grundrecht Gebrauch. Das steht mir zu, so wie allen anderen Bürgerinnen und Bürgern."

MDR San Mitarbeiterin Julia Heundorf
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Über die Autorin Julia Heundorf macht Reportagen, Nachrichten und Social-Media-Beiträge aus Sachsen-Anhalt, vor allem zu Themen rund um Gleichstellung, Diskriminierung und Bildung im Land: Sie erzählt etwa, wie junge Frauen in Magdeburg durch sexuelle Belästigung gedemütigt werden und was die Landespolitik tut, um Frauen zu fördern.

Julia Heundorf kommt aus dem Landkreis Harz, hat in Halle und Frankfurt (Oder) studiert und in Italien, Bulgarien und Frankreich gelebt. Sie arbeitet seit 2020 bei MDR SACHSEN-ANHALT.

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MDR (Julia Heundorf)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. April 2024 | 19:00 Uhr

73 Kommentare

Denkschnecke am 23.04.2024

Hiesige finden es offenbar auch menschenentwürdigend, nicht mehr bar bezahlen zu können. Jedenfalls fährt die AfD ja eine großangelegte Kampagne dagegen, dass große Beträge nicht mehr bar bezahlt werden können und malen den "Überwachungsstaat" an die blaubraune Wand. Nach dem Motto: Auch Steuerhinterzieher brauchen ein Privatleben...

Lavendel am 23.04.2024

Sehr geehrter Herr oder Frau Denkschnecke,
grundsätzlich können sie nach so langer Zeit sicher vorsichtig beginnen in der Kommunalpolitik Engagement zu zeigen.
Bitte verstehen sie mich nicht falsch:
Um aber wirklich vor Ort akzeptiert zu werden müssen sie sich schon noch ein wenig anstrengen und anpassen. Ich schlage vor, dass sie weniger konstruktiv und sachlich an Themen herangehen, wie sie es hier tun, sondern immer mal ein wenig jammern und sich mit Scheinlösungen und Sündenböcken hervortun.

So und nun mal wieder ernst:
Vielen Kommentatoren hier scheint der Name und die Herkunft bei Politikern wichtiger zu sein als die Inhalte für die sie stehen.

Lavendel am 23.04.2024

Was verstehen sie denn bitte unter jemand Besseres?
Einen der schön deutsch aussieht, einen schönen deutschen Namen hat und immer von Deutchland und dem Volk redet?
Dass solche Leute nicht unbedingt ihre Interessen vertreten kann man der Tagespresse entnehmen. Solche Leute sind wohl anscheinend oft dem Staat Russland und China mehr verbunden als Deutschland.

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