Schüler auf einem Platz in Eisenach vor einer Ausstellung.
Eine 9. Klasse der Geschwister-Scholl-Schule besucht die Ausstellung im Container auf dem Markt. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Zusammenleben Ausstellung "ToleranzRäume" in Eisenach: Mit Wimmelbild und bunten Bändern

21. September 2023, 21:19 Uhr

"Für Toleranz kannst Du Dich entscheiden" - mit diesem Slogan wirbt die Wanderausstellung "ToleranzRäume" gerade in Eisenach um Aufmerksamkeit. In einem auffälligen Container auf dem Marktplatz können Besucher erkunden, wie wichtig Toleranz, Respekt und Haltung für ein gutes Zusammenleben sind und wo sie ihre Grenzen haben. Nicht nur Schulklassen werden Führungen durch die öffentlich geförderte Ausstellung angeboten. Die Stadt hat ein umfangreiches Begleitprogramm organisiert.

Der fällt schon ins Auge: Auf dem Eisenacher Marktplatz steht ein schwarzer Container, davor bunte Tische und Hocker, obendrüber eine Art großer Reifen, an dem Bänder in allen Regenbogenfarben flattern. Außen am Container sind Bildschirme angebracht, alle Seiten beklebt. "We’re open?!" ist an einer Stirnseite zu lesen, neben dem Eingang steht: "ToleranzRäume". Eine ungewöhnliche Wanderausstellung ohne Eintritt und Barrieren mitten in der Stadt.

Am Donnerstagvormittag ist eine 9. Klasse der Geschwister-Scholl-Regelschule mit ihren Schulsozialarbeitern zu Gast. Die Jugendlichen lassen sich auf den bunten Hockern nieder. Die städtische Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Quentel erklärt ihnen, womit sie sich im Container, aber auch an den Stationen davor beschäftigen können.

Zwei Kinder und eine Frau in einer Ausstellung in Eisenach.
Gleich nach der Eröffnung am Kindertag haben sich die ersten Besucher die Ausstellung angeschaut. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Spiegelwand und Zitate

Gleich im Eingang befindet sich eine Spiegelwand - in Schubladen liegen Hörer mit Audio-Botschaften. Es geht darum, wie wir uns selbst sehen - und wie wir auf andere schauen. Wieso wir Schubladen im Kopf haben, um Menschen schnell einzuschätzen und warum wir diese Schubladen überdenken sollten. Daneben finden sich Zitate bekannter Persönlichkeiten über Offenheit, Mut, Identität, Haltung. An einem Bildschirm können die Besucher eigene Zitate hinterlassen.

Wimmelbild mit Alltagskonflikten

Den meisten Platz nimmt ein großes Wimmelbild einer Stadt ein. Viele verschiedene gesellschaftlichen Konflikte sind darauf abgebildet. Das reicht von einer Rollstuhlfahrerin, die nicht in ein Gebäude gelangt, über Klimaaktivisten, Windkraft- und Corona-Proteste bis zu einer völkischen Siedlergemeinschaft und Meinungsverschiedenheiten im Freibad.

Hinter zehn Klappen, zeigt Quentel den Jugendlichen, verbergen sich Suchaufgaben. Da müssen beispielsweise Stolpersteine gefunden werden und ein barrierefreier Weg für die Rollstuhlfahrerin. Hinter weiteren Klappen gibt es Lösungen und zusätzliche Informationen zu den Themen.

Ein Gang in einer Ausstellung in Eisenach.
Blick in den Ausstellungscontainer: links das Wimmelbild, rechts die Dokumentation der Übergriffe. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Kein erhobener Zeigefinger

Die "ToleranzRäume" sind ein Projekt des Vereins Toleranz-Tunnel. Ziel sei es, Toleranz ohne erhobenen Zeigefinger zu vermitteln, sagt Vorstandsmitglied Rainer Heller, der zur Eröffnung am Kindertag angereist war. Es gelte, Werte wie Toleranz, Offenheit und Respekt im Alltag sichtbar zu machen. "Alle Besucher finden sich in der Ausstellung wieder." Als typisches Alltagsbeispiel nennt Heller den Verkehr: Je nachdem, ob man als Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer unterwegs ist, stets werde auf die anderen geschimpft.

Ein mann steht neben einem Kontainer.
Rainer Heller vom Vorstand des Vereins Toleranz-Tunnel, der die bundesweite Wanderausstellung organisiert hat. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Ernste Folgen der Intoleranz

Wichtig ist ihm aber auch, auf die ernsten Folgen von Intoleranz hinzuweisen: Dann würden Sündenböcke gesucht, ob nach Religion, Nationalität oder Geschlecht - und das könne bis zum Genozid führen, sagt Heller. Auch dafür werden Beispiele im Container dokumentiert: Tödliche Anschläge und Übergriffe - wie beispielsweise auf dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder jüngst auf einen Transmann in Münster. Texte, Fotos, Videos zeigen diese Beispiele von ideologisch motivierter Gewalt -  vom Nationalsozialismus bis heute.

Erste-Hilfe-Tipps

Die Grenze der Toleranz wird auch im Alltag oft erreicht, erklärt Ulrike Quentel und stellt den Jugendlichen die letzte Wand am Ausgang vor: "Erste Hilfe" steht darüber. Was kann ich tun - wenn ein Kind in der Schule ausgegrenzt wird, eine Frau sexistisch belästigt wird, ich ein Hass-Posting entdecke? Eine interaktive Station gibt Tipps, nimmt aber auch welche auf und reicht sie an die Besucher weiter. 

Eine Stunde Zeit haben die 14- bis 15-Jährigen, um alles zu erkunden. Das ist nicht viel. Eine Hörstation, zwei Aufgaben auf dem Wimmelbild, ein-zwei Fälle bei den Übergriffen. Mehr Zeit nehmen sie sich draußen, beispielsweise am gelben Tisch mit der Aufschrift "Lass uns reden!" Da dürfen sie mit Stiften direkt auf die Platte schreiben, was sie bewegt zum Thema Toleranz. Kurz gibt es eine Ost-West-Diskussion - was ist besser?

Die Wand einer Ausstellung in in Eisenach.
Was tun, wenn man im Alltag auf Intoleranz stößt? Eine "Erste-Hilfe"-Wand gibt Tipps. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Diskussion über Vorurteile

Dann geht es um Vorurteile, die sie kennen: dass Frauen schwächer seien als Männer, sagt ein Mädchen. Ein Junge hakt ein: Männer seien dumm, das werde auch oft gesagt, die könnten nicht denken und seien nur Arbeitstiere. Vorurteile gegen LGBTQ, also gegenüber Menschen mit einer anderen geschlechtlichen oder sexuellen Orientierung?

Darüber müsse man nicht reden, sagt ein Mädchen: "Das wird auch in 500 Jahren nicht akzeptiert werden." Andere widersprechen: "Wenn wir jetzt nicht darüber reden, wird es erst recht nicht besser", sagen sie und verweisen auf die Frauenrechte, die auch erst erkämpft werden mussten.

Sieben Kinder sitzten um einen gelben Tisch.
Diskussion am "Lass-uns-reden"-Tisch – alle können aufschreiben, was sie bewegt. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Besuchermeinung gefragt

Auf der Rückseite des Containers können sie ihre Meinung abgeben: Ist unsere Gesellschaft tolerant? Führen wir politische Debatten fair? Bin ich anderen Meinungen gegenüber offen - und wird meine Meinung genug gehört?

Chiara und Noemi markieren ihre Ansichten auf der Skala zwischen ja und nein mit farbigen Aufklebern. Die Gesellschaft sei nicht sehr tolerant, findet Noemi. Aber die Ausstellung hat ihr gefallen, gerade für Jugendliche, die sich erst orientieren und viele Fragen hätten. "Ich denke schon, dass unsere Klasse was mitnimmt und drüber nachdenkt, was man hier so gesehen hat."

Zwei Mädchen stehen vor einem Kontainer.
Chiara (l.) und Noemi haben auf der Container-Rückseite ihre Meinung abgegeben. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Gemischte Resonanz

Chiara gefielen die Audiostationen in den Schubladen besonders gut. "Da kommen Fragen vor, die sich Jugendliche stellen." "Ganz cool" fand sie auch die Suchaufgaben, hinter denen ein gesellschaftlicher Sinn steckte. Paul fand die Ausstellung "besser als Schule, aber das Fieber - das ist sehr interessant - hatte ich jetzt nicht."

Wie er nimmt auch Enrique mit, "dass es mittlerweile sehr viele Gruppen gibt, die man akzeptieren sollte - oder muss - oder kann." Ist da seine Toleranzgrenze schon erreicht? Nein, sagt Enrique, "solange die Respekt vor mir haben, habe ich auch Respekt vor denen." Nur die "Klimakleber", die könne er nicht akzeptieren, sagt der 15-Jährige. Finn zieht eine gemischte Bilanz: "Erst hat es mich nicht so angehoben - aber dann hat es mich doch mehr interessiert als ich dachte."

Ein Schüler steht auf einem Platz in Eisenach.
"Wer mich respektiert, vor dem habe auch ich Respekt", sagt der 15-jährige Enrique. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Einzige Stadt in Thüringen

Derzeit touren fünf dieser Ausstellungscontainer durch Deutschland. Die Ausstellung, die von Bundestag und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird, soll bis Ende kommenden Jahres in 70 Städten gezeigt werden.

Eisenach ist bisher die einzige Stadt in Thüringen, die "ToleranzRäume" zeigt. Hat die Stadt einen besonderen Bedarf, weil es hier eine starke rechtsextreme Szene gibt?

Oberbürgermeister hofft auf Denkanstoß

"Ja, wir haben Toleranz in Eisenach ausgesprochen nötig", sagt Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke), "aber ich glaube, jede andere Thüringer Stadt auch." Sie sei glücklich, die Ausstellung über einen persönlichen Kontakt bekommen zu haben. Was sie sich davon erhofft? "Einen Anstoß", sagt Wolf, "einen Denkanstoß, sich selber zu reflektieren, sich zu hinterfragen, zu schauen, was bedeutet es für mich und damit in eine Wertedebatte reinzukommen. Das finde ich ganz wichtig."

Eine Frau mit Mikrofon steht vor einem Kontainer.
Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke) eröffnet die "ToleranzRäume" auf dem Markt. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Ähnlich sieht es auch der Landrat des Wartburgkreises, Reinhard Krebs (CDU). Toleranz sei überall nötig, sagt er, aber räumt ein: "Es gibt bestimmt Orte, wo man sich mit dem Thema mehr beschäftigen sollte."

Die Gesellschaft habe sich verändert, stellt Krebs fest. Vieles werde sehr schnell in eine Ecke gestellt. "Und diese Ausstellung zeigt den Lebensalltag, der aus einer Vielfalt besteht, wo Toleranz am Ende einen Überbegriff darstellt, um überhaupt miteinander das Leben zu gestalten."

Begleitprogramm soll in die Stadt wirken

Um die Ausstellung und ihr Anliegen möglichst breit in die Stadt zu tragen, hat sich die Stadtverwaltung mit einigen Partnern zusammengetan. Sogenannte Guides stehen bereit, um Schulklassen, aber auch alle anderen Besucher einzuführen in die Ausstellung.

Im Begleitprogramm sind Workshops an Schulen geplant, offene Führungen und Gesprächsrunden. Kinder können sich am Projekt "Demokratie-Bücherregal" beteiligen und Bücher auswählen, die sie gern lesen möchten. Die meistgewählten Bücher sollen dann für die Stadtbibliothek angekauft werden.

Vier Kinder mit einem Zettel in der Hand stehen auf einem Platz.
Zur Ausstellungseröffnung am Kindertag machen Venus, Rona, Lorena und Narek von der Mosewaldschule auf wichtige Kinderrechte aufmerksam. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Intolerante Stimmung

In der Stadtverwaltung sind Ulrike Quentel und Nicole Päsler verantwortlich für die "ToleranzRäume". Das Thema sei wichtig, sagt Päsler, "weil wir in den letzten Jahren verlernt haben, uns miteinander auf Augenhöhe auszutauschen. Die Fronten sind ziemlich verhärtet." Die Stimmung in der Bevölkerung sei teilweise "sehr intolerant", meint auch Ulrike Quentel und verweist auf die "sehr rechtsorientierten und rechtspopulistischen Parteien" im Stadtrat. Da sind NPD, heute "Die Heimat", und AfD mit jeweils vier Mitgliedern vertreten.

Zwei Frauen stehen vor einem Kontainer.
Für die Stadtverwaltung haben Ulrike Quentel (l.) und Nicole Päsler mit Partnern ein Begleitprogramm organisiert. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Zivilgesellschaft stärken

Der Aufbau des Containers sei genau beobachtet worden, sagt Nicole Päsler. Es gebe Vorbehalte. Die ersten Passanten hätten schon gefragt, wozu man das brauche. Andere aber hätten sich gefreut und gesagt, das tue Eisenach gut. Für Päsler ist deshalb auch ein Ziel der "ToleranzRäume", Menschen Mut zu machen und zu stärken, die sich in der Stadt für Toleranz, Vielfalt und für eine lebendige Stadtgesellschaft einsetzen.

Nicht die Montagsdemonstranten seien viele, sagt sie: "Wir sind die vielen, nur wir zeigen uns nicht und sind in der Öffentlichkeit nicht so präsent." Der Container und die bunten Bänder sind zumindest nicht zu übersehen.

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MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 21. September 2023 | 18:42 Uhr

29 Kommentare

hinter-dem-Regenbogen vor 31 Wochen

@Brigitte Schmidt _"Zivilgesellschaft . . . "

Sie sprechen es an, dass Problem, die Heuchelei und Täuschung.

Zum einen gibt es die "Zivilgesellschaft" und zum anderen gibt es den Rest (die Anderen).
Wer Mitglied im Club sein darf, entscheidet im Allgemeinen die gleiche Klientel, die zuvor auch schon die Begrifflichkeit der "Toleranz" für sich reserviert hat.

hinter-dem-Regenbogen vor 31 Wochen

@Elisa ___"Toleranz bedeutet u.a. . . ."

Toleranz ist ein Gemütszustand, der, wie die Natur es vorgibt, auch immer seine Grenzen sucht.
Deshalb kann (sollte) man, gerade im politischen Raum, Toleranz nicht in einen Rahmen binden.
Allein die gemeinlichen Denkmuster in "Rechts" und in "Links" zu klassifizieren, begrenzt jede Art von Toleranz in seiner Ursprungsdeutung.

Zu beobachten ist auch, wer denn bevorzugt und nahezu inflationsartig von der Begrifflichkeit gebraucht macht und sich über diesen Weg der Wühlarbeit, eine Form der Grenzen-und Maßlosigkeit herbeistreitet.

PS:
Die Achtung vor seinen Mitmenschen in der Heimat, sollte eine Selbstverständlichkeit sein und nicht auf ein Synonym aus Toleranz beschränkt werden.

Eilisa vor 31 Wochen

Toleranz bedeutet u.a. Meinungen anderer auszuhalten und zu dulden, auch wenn man selbst eine andere Meinung hat. Das heißt abeŕ auch, man führt eine sachliche Diskussion, wird nicht persönlich, grenzt nicht aus, beleidigt andere nicht oder verbannt Menschen in Gruppen mit vermeintlichen Zuweisungen. Also " die Migranten, die Behinderten, die Homosexuellen, die Muslime, die Kinder, die Alten, die Frauen, die Männer" usw. Man kann schneller als gedacht selbst in einer Gruppe landen.

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