Thüringen-Monitor Studie sieht Anstieg rechtsextremer Einstellungen in Thüringen

16. April 2024, 19:32 Uhr

Im neuen Thüringen-Monitor klettern die Werte zu rechtsextremen Einstellungen auf Vor-Pandemie-Niveau. Viele Thüringer zeigen sich unzufrieden mit der Demokratie, der Landes- und der Bundesregierung.

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Mehr rechtsextreme Positionen, weniger Zufriedenheit mit der Demokratie: Einer aktuellen Studie zufolge haben 19 Prozent der Menschen in Thüringen im Vorjahr rechtsextreme Einstellungen. Das geht aus dem aktuellen Thüringen-Monitor hervor, den die Politikwissenschaftlerin Marion Reiser am Dienstag in Erfurt vorstellte und der zuvor in der Thüringer Landesregierung besprochen wurde. In den Jahren der Corona-Pandemie lag der Wert deutlich niedriger - im Jahr 2020 bei 17 Prozent, im Jahr 2021 bei elf und im Jahr 2022 bei zwölf Prozent. 

Der Anstieg gehe vor allem auf einen Anstieg bei fremdenfeindlichen Einstellungen zurück, sagte Reiser, wissenschaftliche Leiterin der Studie. So stimmten 59 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Bundesrepublik "durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet" sei.

Geringe Zufriedenheit mit der Demokratie im Alltag

Die Staatsform der Demokratie an sich wird von einer breiten Mehrheit von 88 Prozent bei der Befragung im vergangenen Jahr im unterstützt. Im Jahr 2020 zeigten sich 68 Prozent der Befragten zufrieden mit der Demokratie, im Jahr 2022 waren es 48 Prozent gewesen. Mehr als die Hälfte der Thüringerinnen und Thüringer zeigte sich allerdings unzufrieden mit der Umsetzung der Demokratie. Nur 45 Prozent der Befragten gaben an, damit zufrieden zu sein.

Die vielfachen Krisen wie Ukraine-Krieg, Inflation, die Energiepreise oder auch die Sorge um die Wirtschaft hätten dazu geführt, dass die Zufriedenheit sinke, sagte Reiser. Ein Teil der Menschen habe den Eindruck, dass die Politik ihre Interessen nicht wahrnehme. Hinzu komme das Gefühl, als Ostdeutscher benachteiligt zu sein.

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Schlechtes Zeugnis für Bundesregierung und Landesregierung

Eher unzufrieden zeigten sich viele der Befragten auch mit der Arbeit der Bundesregierung und der Landesregierung. Weniger als ein Fünftel (17 Prozent) der Befragten gaben an, dass sie der Bundesregierung ihr Vertrauen schenken.

Der Thüringer Landesregierung vertrauten noch 30 Prozent der Menschen. In Thüringen führt Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung. Am 1. September wird der Landtag neu gewählt.

Antisemitismus verbreitet

Antisemitismus sei in Thüringen zudem weiter verbreitet. Allerdings unterscheidet die Studie zwischen verschiedenen Formen. Der sogenannte primäre, völkisch-rassistische Antisemitismus bleibe auf einem niedrigen Niveau, hieß es.

Einen hohen Zustimmungswert von knapp 40 Prozent gab es jedoch beim sekundären Antisemitismus, der auf eine Verharmlosung der NS-Verbrechen abzielt. Etwa werde Jüdinnen und Juden in Form einer Täter-Opfer-Umkehr vorgeworfen, heutzutage aus der Erinnerung an den Holocaust Profit schlagen zu wollen, schreiben die Autoren.

Der israelbezogene Antisemitismus stieg von zwölf Prozent im Jahr 2022 auf 19 Prozent im vergangenen Jahr an.

Studie sieht "digitale Spaltung" unter den Berufstätigen

Demnach nutzen drei Viertel der Thüringer Beschäftigten täglich digitale Arbeitsmittel. Nur eine Minderheit von elf Prozent der Berufstätigen nutzt sie nicht. Die Folgen der Digitalisierung werden dem Thüringen-Monitor zufolge unterschiedlich bewertet.

Als positiven Aspekt der Digitalisierung nannten die Befragten unter anderem eine körperliche Entlastung oder, dass Beruf und Familie durch das Home-Office besser vereinbart werden kann. Negativ sei, dass die Arbeitslast zunimmt und Arbeit und Freizeit immer mehr verschmelzen. Zwei Drittel der Befragten gehen davon aus, dass sich ihre Arbeitsaufgaben im Zuge der Digitalisierung verändern werden.

Als problematisch sehen die Autoren der Studie, dass es eine "digitale Spaltung" unter der Thüringer Bevölkerung gibt. So habe mehr als die Hälfte der Thüringerinnen und Thüringer Angst, von der Entwicklung digitaler Technologien abgehängt zu werden.

Vier von fünf Befragten sind oft unsicher, ob es sich bei Informationen aus den sozialen Medien um Falschinformationen handelt. Daher fordern die Autoren, die digitale Kompetenz der Menschen zu fördern.   

Fachkräftemangel spielt große Rolle für Thüringer

Die Studienautoren bezogen in ihre Untersuchung diesmal auch den Fachkräftemangel mit ein. Während zwei Drittel der Befragten Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland befürworteten, sprach sich ein Drittel dagegen aus. "Diese Position ist signifikant häufiger bei Beschäftigten von Kleinstunternehmen im ländlichen Raum sowie bei Befragten mit (rechts-)populistischen Einstellungen verbreitet", schreiben die Autoren. 80 Prozent der Befragten nehmen den Fachkräftemangel dagegen nach eigenen Angaben auch in ihrem Alltag wahr, etwa bei der Suche nach einem Facharzt oder einem Handwerker.

Für 86 Prozent der Befragten führt das fehlende Personal bereits heute zu einer höheren Arbeitsbelastung. Eine große Mehrheit ist daher dafür, diesen Mangel zu bekämpfen, in dem die Region attraktiver gemacht wird, Arbeitslose und Geringqualifizierte weitergebildet werden und in besonders betroffenen Branchen mehr gezahlt wird. Ein höheres Renteneintrittsalter, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, lehnen 88 Prozent der Befragten ab.

Klimaschutz als Thema der Befragung

Differenziert sind auch die Einstellungen zum Thema Klimaschutz. 87 Prozent der Thüringer wünschen sich, dass die Unternehmen sie bei einem klimafreundlichen Lebensstil unterstützen, etwa in Form eines Job-Tickets. Gleichzeitig forderten aber zwei Drittel, dass die Politik die Unternehmen nicht durch weitere Klimaschutz-Auflagen belasten sollte.

Parteien reagieren unterschiedlich auf Ergebnisse des Thüringenmonitors

Die Parteien in Thüringen haben unterschiedlich auf den Thüringen-Monitor reagiert. Die CDU erklärte, die Ergebnisse zeigten, dass die Menschen in Thüringen endlich eine Regierung erwarten würden, die ihre Probleme löse. Laut Union geht es dabei um Themen wie Inflation, Unterrichtsausfall, Zuwanderung und fehlendes Fachpersonal. Mit einer Politik, die sich an den Sorgen der Thüringer orientiere, könne das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden.

Nach Angaben der AfD sind die Thüringer zwar "demokratieverliebt". Aber die Landesregierung ruiniere die Demokratiezufriedenheit und verspiele das Vertrauen der Menschen in die Politik.

Ähnlich äußerte sich die FDP. Der Staat sei in Thüringen unter Rot-Rot-Grün träge geworden. Statt die Menschen zu bevormunden, müsse sich der Staat um die wahren Sorgen und Nöte der Menschen kümmern.

Nach Ansicht der Linken muss es künftig darum gehen, die Spaltung zwischen Stadt und Land abzubauen. Das könne gelingen, indem zum Beispiel die Mitbestimmung in den Betrieben verbessert werde. Den Linken zufolge lehnt etwa ein Drittel der Thüringer eine Zuwanderung von Arbeitern aus dem Ausland ab. Wichtig sei daher, sich für einen weltoffenen Arbeitsmarkt einzusetzen und die Beschäftigten in die Integration von Zugewanderten einzubinden.

Nach Angaben der SPD zeigt der Thüringen Monitor vor allem, dass das demokratische Sicherheitsversprechen erneuert werden muss. Wer täglich dazu beitrage, den Laden am Laufen zu halten, seine Steuern zahle und sich an Regeln halte, der dürfe nicht am Ende zum Verlierer von steigenden Preisen und neuen Regulierungen werden.

 Studie zu politischen Einstellungen der Menschen

Der Thüringen-Monitor untersucht seit dem Jahr 2000 jährlich die politische Kultur im Freistaat Thüringen. Er basiert auf einer repräsentativen telefonischen Befragung von 1.063 wahlberechtigten Thüringern zwischen dem 11. September und dem 25. November 2023.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des Thüringenmonitors ergänzt.

Mehr zu Digitalisierung und Fachkräftemangel

MDR (bml/gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 16. April 2024 | 07:00 Uhr

356 Kommentare

hinter-dem-Regenbogen vor 1 Wochen

@Der Beobachter

Ich verstehe !
Eine mögliche Regierungsbeteiligung der AFD wird es nicht geben. Soviel steht schon vor der Wahl fest .
Und sollte sich doch etwas anderes anbahnen , denn es ist nicht ausgeschlossen, dass andere Parteien auch gerne mitregieren würden(wollen) ,
"dann muß das eben wieder Rückgängig gemacht werden ".

So sind die Grundlagen der (ihrer) Demokratie , wenn ich Sie richtig verstanden habe.

hinter-dem-Regenbogen vor 1 Wochen

@Anita L.

Wir sollten hier aber, dem Thema entsprechend , bei den Gesellschaftswissenschaften bleiben.
Dazu sei jedoch angemerkt, nicht jeder Bürger kann ein Wissenschaftler sein. Dennoch haftet die Wahl bei der Wahl an ihm. Nicht der Wissenschaftler macht das Kreuz, sondern der Bürger.
Und der Bürger nährt sein Wissen und Gewissen weniger von Wissenschaft und Propaganda. Vielmehr neigt der Bürger dazu, Entscheidungen zu treffen, aus dem was er gesehen und was er selbst erlebt hat.

Übrigens konnte die Wissenschaft das zusammenleben der Menschen in Jerusalem nicht vorbestimmen und erst recht wird die Wissenschaft das auch nicht in Deutschland können. Also wird man die Menschen in Thüringen auch nicht als "Menschenfeinde" titulieren können, eher noch, dass diese aufgeweckt und wachsam sind, vielmehr noch, als wenn diese der Wissenschaft folgen würden.
Die Thüringer wollen selbst entscheiden und gestalten und sie zeigen auch ihren Willen dazu , wie ihr Land aussehen soll ! ! !

Eddi58 vor 1 Wochen

@Maria A
„Gerade die Thüringer, die sich so schnell nach dem Aus des Sozialismus einer linken Landesführung zuwandten, müssten, hätte Ramelow und Co. es gut gemacht, weniger anfällig für rechte Tendenzen sein als der Rest der Neubundesländer.“
Aha
2014 wurde in meiner Heimatstadt nach der Wahl von Bodo Ramelow zum MP an eine Wand der Spruch „kommunistischen Diktator Ramelow verhindern“ gesprüht. Sicher waren viele Wähler:innen froh endlich eine Regiwrung ohne CDU zu haben, aber es gab auch die Ewiggestrigen, die das Ergebnis schlicht nicht zur Kenntnis nehmen wollten…

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