Umweltbewegung in Halle Was "Fridays For Future" von der DDR-Opposition mitnehmen kann
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24. Januar 2023, 12:39 Uhr
Junge Menschen organisieren sich in Halle bei "Fridays for Future", demonstrieren, blockieren Straßen und fordern weltweite Klimagerechtigkeit. Sie setzen sich für rheinische Dörfer ein und sind global vernetzt. Die Tradition dieser Umweltbewegung reicht zurück in die 80er-Jahre. Wer sich damals in Halle engagierte, stellte sich gegen das DDR-System. Die heutigen Klimaaktivisten und die Mitstreiter der DDR-Umweltbewegung können voneinander lernen.
Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.
- Vor allem junge Hallenser organisieren sich für das Klima: zuletzt in Lützerath oder bei "Fridays-for-Future"-Demos vor Ort.
- Schon in der DDR haben sich Menschen für die Umwelt engagiert. Die Kirche bot ihnen Schutz vor dem SED-Regime, das gegen sie agierte.
- Klimaaktivisten haben heute mehr Freiheiten und zum Teil andere Themen. Dennoch können die Generationen voneinander lernen.
"Stopp Kohle Jetzt!" steht auf dem roten Banner, vor dem Clara Lecke steht. Sie erzählt in die Kamera, was man mitbringen sollte, wenn man sich den Protesten rund um Lützerath anschließen möchte.
Die 18-Jährige ist seit Anfang 2022 bei "Fridays For Future" (FFF) Halle aktiv. Am 9. Januar macht sie sich auf nach Nordrhein-Westfalen, um dort gegen die Räumung des Dorfes im rheinischen Braunkohlegebiet zu protestieren. Dort entsteht auch das Video. "Das Abbaggern von Lützerath bedeutet, dass die 1,5-Grad-Grenze für Deutschland überschritten wird", meint die Aktivistin. "Mit dieser Entscheidung werden wir alle in naher Zukunft leiden müssen. Es ist ein Symbol für das Versagen von Politik."
Vorab hatte Clara Lecke in ihrer Heimatstadt Halle eine Kundgebung organisiert, um auf Lützerath aufmerksam zu machen. Bei FFF ruft sie zu Demonstrationen auf und kümmert sich um den Social-Media-Auftritt der Ortsgruppe.
Klimastreik in Halle bringt Generationen zusammen
Beim "Klimastreik" im September vergangenen Jahres sind nach Angaben von FFF rund 1.500 Menschen auf den Straßen von Halle. Auch Christoph Kuhn, Jahrgang 1951, läuft bei den Demonstrationen der Klimabewegung mit.
Die Leute, die engagiert sind für den Umweltschutz, waren wahnsinnig erfreut, als das mit den Demonstrationen losging.
In den späten 80er-Jahren hat Kuhn sich in der DDR für die Umwelt eingesetzt. So offen zu demonstrieren wie heute sei damals undenkbar gewesen: "Wir haben in einem Staat gelebt, wo alles Mögliche passieren konnte. Ich habe von Fällen gehört, da sind Leute verhaftet worden wegen gar nichts", berichtet Kuhn.
Er war aktiv in der "Ökologischen Arbeitsgruppe" (ÖAG), die sich Anfang der 80er-Jahre gegründet hat. Aber "ich war nicht in erster Linie Aktivist, da waren andere Leute verdienstvoller. Ich habe viel dokumentiert und war eben dabei." Heute falle ihm auf, dass wenige Menschen seiner Generation sich für das Klima einsetzen, obwohl es eine – wenn auch kleinere – Umweltbewegung in der DDR gab.
In diesem Video des Studierendenprojektes "Grüne Generationen" stellen sich Clara Lecke und Christoph Kuhn vor:
"Grüne Generationen": Hier begegnen sich Clara Lecke und Christoph Kuhn "Grüne Generationen" ist ein multimediales Storytellingformat. Das Projekt bringt FFF-Aktivistin Clara Lecke und den DDR-Umweltaktivisten Christoph Kuhn in Dialog. Es entstand als Studienprojekt des Masterstudienganges Multimedia und Autorschaft an der Universität Halle.
Verschmutzung in Halle war mit allen Sinnen spürbar
Der Umweltschutz war seit 1968 in der Verfassung der DDR verankert. Wie belastet die Natur aber war, zeigte sich in Halle sehr deutlich. "Die Saale hat gestunken, es gab keine Fische und regelmäßig bildete sich Schaum. Es gab Orte rings um Halle, wo man das Gemüse nicht essen konnte", schildert die Historikerin Anne Kupke vom Verein "Zeitgeschichte(n)": "Jeder in der DDR wusste, wenn es durch bestimmte Regionen geht, dann ist im Zug das Fenster zu schließen."
Die Saale hat gestunken, es gab keine Fische und regelmäßig bildete sich Schaum.
Trotz dieser offensichtlichen Zeichen der Verschmutzung, gab es einen "Widerspruch zwischen dem eigenen Erleben und dem, was in der Zeitung stand". Daher, ergänzt Kupke, habe die ÖAG mit Informationen und Untersuchungen in die Öffentlichkeit gewollt. An einem Kirchentag beispielsweise habe die Gruppe Wasserproben aus Saale und Hufeisensee zur Schau gestellt.
Auf einen Blick: Die "Ökologische Arbeitsgruppe" in Halle
Die "Ökologische Arbeitsgruppe" hat sich Anfang der 1980er Jahre in Halle innerhalb kirchlicher Strukturen gegründet. Zunächst trafen sich die sieben bis 30 Engagierten in Räumen der Petruskirche in Halle-Kröllwitz, später in der zentral gelegenen Georgenkirche. Um Aufmerksamkeit auf die Umweltverschmutzung zu richten, pflanzten sie illegal Bäume, druckten Flugblätter oder veranstalteten sogenannte Spaziergänge, um zu demonstrieren. Die Stasi stufte die Gruppe als "feindlich negativ" ein und überwachte sie.
Kirche bot Aktivisten in der DDR Schutz
Schon in seiner Kindheit in Dresden erfuhr Christoph Kuhn von seinen Eltern, wie sie über das System denken: "Wir mussten in der Schule mit unserer Haltung vorsichtig sein: alles was mit Menschenrechten oder der eigentlich gar nicht existenten Demokratie zu tun hatte." In Halle ist er dann zur ÖAG gestoßen. Der "harte Kern" bestand laut Kuhn aus sieben oder acht Leuten, bei besonderen Treffen seien es vielleicht mal 30 gewesen. Die Kirche bot für die Gruppe einen geschützten Rahmen: zunächst in der Petruskirche in Halle-Kröllwitz und später in der Georgenkirche im Zentrum der Salzstadt.
"Die Kirche hat jungen Menschen einen Raum geschaffen. Neben Umweltthemen haben sie sich mit Menschenrechten und Aussöhnung beschäftigt und die Gruppen sind dann mit verschiedenen Aktionen aus dem Raum der Kirche rausgekommen", erklärt Anne Kupke. Aber der Schutz der Kirche hatte Grenzen: Die Arbeitsgruppe wurde vom Ministerium für Staatssicherheit als "feindlich negativ" eingestuft. Kuhn und andere Mitglieder haben das und das Ausmaß der Bespitzelung durch die Stasi erst nach der Wende erfahren, als die Akten veröffentlicht wurden.
Aktionen im Rahmen der Möglichkeiten
Die kleine Gruppe versuchte, Aufmerksamkeit zu generieren. Dafür veranstaltete sie unter anderem "Spaziergänge". Sie als Demonstration zu bezeichnen, sei nicht erlaubt gewesen, berichtet Kuhn. Zum Beispiel, als in der Dölauer Heide im halleschen Norden ein asphaltierter Weg durch das heutige Landschaftsschutzgebiet gebaut werden sollte.
Das war eben nur eine halbe Öffentlichkeit, eine eingeschränkte.
Im Vorfeld der Aktion hätten zivil gekleidete Personen vor Christoph Kuhns Tür gestanden und ihm verboten, in den Wald zu gehen, berichtet dieser: "sicherlich Staatssicherheit". Viele Menschen zu erreichen, sei nicht einfach gewesen: "Das war eben nur eine halbe Öffentlichkeit, eine eingeschränkte. Leute, die sich im Umfeld der Kirchen bewegten."
Dennoch konnte die Gruppe etwas bewirken: Am Universitätsring in Halle, gegenüber dem Kulturhaus Urania, stehen heute mehrere Linden, die in den 80ern von der Stadt gefällt werden sollten. Als die ÖAG das mitbekommen habe, habe sie die Bäume als Ausdruck ihres Protests mit Luftballons geschmückt. "Da haben wir es damals durchgesetzt, dass die Linden stehen bleiben können", freut sich Christoph Kuhn.
DDR-Umweltbewegung: unbekannt, aber relevant
Was Christoph Kuhn und andere Engagierte riskiert und erreicht haben, indem sie sich in der ÖÄG gesammelt haben, ist damals wie heute nicht sehr präsent in der Öffentlichkeit, sagt Anne Kupke, deren Vater ebenfalls Teil der ÖAG war: "Die Mehrheit der Bevölkerung wird von den Aktionen nichts mitbekommen haben. Aber die Bäume vor dem Urania stehen eben noch, weil die Gruppe protestiert hat. Die Relevanz dieser Gruppen für die friedliche Revolution ist nicht messbar. Andere Bürgerrechtsbewegungen waren vielleicht relevanter, trotzdem brauchte es Mutige, die erstmal anfangen und sich etwas trauten."
Aktivismus soll in die Öffentlichkeit
An diesen Bäumen führt auch der Protestzug des Klimastreiks im September 2022 entlang. Die "Fridays For Future"-Aktivistin Clara Lecke begleitet die Demonstration mit ihrem Handy und postet Stories auf Instagram. "Social Media spielt eine ziemlich große Rolle für Aktivismus heutzutage. Es ist einfach ein großes, großes Mittel, um Leute zu mobilisieren," erzählt die gebürtige Hallenserin. 3.600 Menschen folgen der Ortsgruppe auf Instagram, wo sie Beiträge schreibt oder selbst vor der Kamera zu sehen ist.
"Lokale Sachen sind wichtig, bloß damit wir die Klimakrise irgendwie eindämmen können, muss halt der Fokus auf der Politik liegen", stellt die 18-Jährige ihre Ziele dar. Die FFF-Bewegung sei international vertreten und stelle globale Forderungen, da bringe es nichts, "dass wir in Halle ein paar mehr Bäume haben, wenn die Politik so weitermacht", spitzt sie es zu.
In diesem "Grüne-Generationen"-Video erklären Christoph Kuhn und Clara Lecke, wie sie sich für Klimaschutz einsetzen:
Ihre Anliegen mit einem Knopfdruck in die Öffentlichkeit bringen, das konnten die Mitglieder der Ökologischen Arbeitsgruppe nicht. Um Menschen zu erreichen, haben sie regelmäßig das sogenannte "Blattwerk" veröffentlicht. Die Kennzeichnung auf dem Titelblatt der Zeitschrift "Nur für den innerkirchlichen Gebrauch" war eine Vorgabe des Regimes, "da Organisationen, die nicht staatlich genehmigt wurden, sonst gar nicht publizieren durften", erläutert die Historikerin Kupke.
"Herausforderung für die ÖAG war immer, Papier zu besorgen. Einerseits, weil es politisch nicht gewollt war und weil es Mangelware war." Mit einer Druckmaschine vervielfältigen die Aktivisten das "Blattwerk" und "auch wenn die Auflage dieser Zeitschriften gering war, gingen sie durch viele Hände", weiß Kupke, die im Archiv des "Zeitgeschichte(n)" e.V. in Halle einige Exemplare aufbewahrt.
Generationen können voneinander lernen
"'Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut' – das gilt sicherlich für die meisten meiner Generation, aber für viele auch nicht", zitiert Christoph Kuhn den Ausruf, der auf FFF-Klimastreiks zu hören ist. "Wir haben uns schon vor 40 Jahren für Umweltschutz engagiert." Er wünsche sich, dass die Aktivisten von damals und heute mehr miteinander reden: "Die Leute, die engagiert sind für den Umweltschutz, waren wahnsinnig erfreut, als das mit den Demonstrationen losging."
Auch die junge Generation von Aktivistinnen und Aktivisten ist am Austausch interessiert: "Der Erfahrungswert ist ein ganz anderer, wenn man das schon so lange macht", meint Clara Lecke und fragt sich: "Wie kann man die verschiedenen Erfahrungen miteinander verbinden?" Wichtig sei ihr vor allem, dass das auf Augenhöhe geschehe.
In diesem "Grüne Generationen"-Video sprechen Clara Lecke und Christoph Kuhn gemeinsam über Klimaaktivismus:
Über den Autor Seit 2021 studiert Mathis Schneider in Halle den Journalismus-Master "Multimedia und Autorschaft". Bevor es ihn in an die Saale zog, war er als Pressereferent im öffentlichen Dienst tätig. Bei seinen Geschichten will er den persönlichen Standpunkt der Menschen finden und den Lesenden damit neue Perspektiven eröffnen.
MDR (Maren Wilczek)
DermbacherIn am 26.01.2023
@hilflos
So kann Frau berechtigte Kritik auch abbügeln! Behaupten sie nicht einfach bloß das Gegenteil, sondern beweisen sie, dass ich nicht recht habe!
Gerd Mueller am 26.01.2023
lasst die Klimaaktivisten sich Ankleben, gebt denen keine Bühne und gut iss
jedem Tierchen sein Plessierchen
bei Rohrbruch oder Ähnliches wird auch Umleitung gefunden
Der Pegauer am 25.01.2023
Liebe Brigitte Schmidt, falls Sie es noch nicht mitbekommen haben: Mit Hass und Hetze wird heutzutage jede Meinung abgekanzelt, die nicht dem regierungsamtlichen Narrativ und den Mainstreammedien entspricht. Kritik an der Regierung wird als Delegitimierung derselben bezeichnet und die Klimabewegung zu kritisieren, ist ohnehin sakrosankt. Letztere stehen über den Dingen, und ihre Bewegung trägt teilweise religiöse Züge. Das sieht man schon an der Auswahl bestimmter Begriffe, die sie von der katholischen Kirche abgekupfert haben wie Klimaleugner und Klimaketzer. Wie hieß es doch so schön bei einem englischen Literaten: Wenn sie nicht an Gott glauben, dann glauben sie etwa nicht an nichts, sondern an jeden Unsinn!