Nawalny trägt einen Anzug und blickt nach unten, Aufnahme im Profil, daneben der Schriftzug Streaming-Tipps
Szene aus der Doku "Becoming Nawalny", die zu unseren Highlights in der ARD Mediathek zählt. Bildrechte: rbb/arte/Evgeny Feldman/MDR

Streaming-Highlights Russland verstehen – Fünf sehenswerte Filme in der Mediathek

15. März 2024, 04:00 Uhr

Die ARD Mediathek bietet eine riesige Auswahl an Filmen, Dokumentationen und Serien. Damit Sie den Überblick behalten, stellen wir Ihnen alle zwei Wochen Highlights zum Streamen vor. Anlässlich der Präsidentschaftswahlen in Russland haben wir fünf Tipps für Dokus und Filme, die helfen, Russland wirklich zu verstehen. Dazu gehören die Doku "20 Tage in Mariupol", die gerade mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, das Porträt über Putins Staatsfeind Nr. 1, Alexej Nawalny, und das Spielfilm-Debüt einer russischen Regisseurin.

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"Russland lässt sich unmöglich erklären", meint die nach Berlin emigrierte, russische Journalistin Masha Borzunova. In der ARD Mediathek finden sich einige Dokus, Reportagen oder Talkshows über Russland. Besonders aktuell und erschütternd ist der Oscar-prämierte Dokumentarfilm "20 Tage in Mariupol" über die von der russischen Armee größtenteils zerstörte, russischsprachige Industriestadt, die nach ihrer brutalen Eroberung von Putins Russland einverleibt wurde.

Wurzeln des Terrors auch gegen Zivilisten lassen sich schon bei Lenin erkennen, wie eine Doku zeigt, die zurückgeht bis zur Geburtsstunde der Sowjetunion. Außerdem bietet die ARD Mediathek eine ebenso ausgewogene wie informative Dokumentation über Alexej Nawalny, den letzten großen, russischen Oppositionellen, der vier Wochen vor den Präsidentschaftswahlen 2024 aus dem Weg geschafft wurde. Unsere Tipps im Überblick:

"Becoming Nawalny": Vielschichtiges Porträt von Putins Staatsfeind Nr. 1

Diese noch vor dem Tod Nawalnys beendete Dokumentation zeigt einen schillernden und mitunter auch zwiespältig agierenden Alexej Nawalny. Der wichtigste Feind Putins war ein Einzelkämpfer, zerstritt sich mit der liberal-demokratischen Opposition und verleumdete in seinem Narzissmus auch einstige Mitstreiter. Das Verdienst dieser Doku besteht dann vor allem darin, kein Märtyrer- oder verklärendes Heldenepos zu schaffen, sondern ein vielschichtiges Porträt. Weggefährten schildern seinen Werdegang.

Alexej Nawalny im Warteraum zu einer Gerichtsverhandlung.
Alexej Nawalny (1976-2024) im Warteraum zu einer Gerichtsverhandlung Bildrechte: rbb/arte/Evgeny Feldman

Aufgewachsen ist Nawalny in streng abgeschotteten sowjetischen Musterstädten. Seine Sommer verbrachte er bei der ukrainisch-stämmigen Familie seines Vaters in Tschernobyl. Als junger Mann schwärmte er für Jelzin, später wurde er zu einem Aufklärer gegen die Korruption, zu einem bekannten Blogger, Anwalt und Aktivisten. Wohl niemand vor ihm wurde in Russland so oft verhaftet, bedroht, mit immer neuen Strafen belegt und sogar vergiftet. Aber es gab auch weniger sympathische Seiten bei Putins Staatsfeind Nummer 1. Er war lange Zeit sehr nationalistisch, nahm an rechtsradikalen Märschen für Russland teil und blieb wohl immer auch Rassist. Erst im Gefängnis und in seinen letzten Jahren relativierte er einige seiner Ansichten.

Die Stärke dieser vielschichtig recherchierten Dokumentation besteht in ihrer komplexen Darstellung eines russischen Oppositionellen, der selber mit der Macht flirtete und autokratisches Gebaren offenbarte. Das mindert nicht seinen Mut, seine Entschlossenheit und seinen Verdienst, sich gegen Putins Diktatur aufzulehnen. Der Film steht in der deutschen Fassung in der ARD Mediathek, die ARTE-Mediathek bietet wahlweise die mehrsprachige Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Russland verstehen zu wollen, sollte auch heißen, Russisch hören zu dürfen.

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"Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1"
Film von Igor Sadreev und Aleksandr Urzhanov

Zu sehen in der ARD Mediathek bis 15. August 2024

Seltene Einblicke in "Russland 2024 – Proteste, Partys, Mord"

Die aus Russland nach Berlin emigrierte Journalistin Masha Borzunova bezeichnet sich selbst ironisch als "Masha, die persönliche Agentin der verrückten Welt der russischen Propaganda". In "Tracks East" versucht sie, "Russland zu erklären, ein Land dass man unmöglich erklären kann". In den kurzen, gut gemachten Reportagen geht es um die Trauer der Exilrussen nach Nawalnys Tod, um Mütter und Ehefrauen von russischen Soldaten, die nach der Generalmobilmachung eingezogen worden sind und die Folgen einer Partynacht.

"Nawalny war unser Superheld, er war immer da. Er schien unsterblich", beklagt eine junge Russin, die sich auch im Exil nicht traut, ihr Gesicht zu zeigen. Wehmütig nehmen Russen im Exil, in Tbilissi, Berlin oder Marbella Abschied von Russlands letztem großen Oppositionellen, der in seinem bekannten Slogan immer von einem "wunderbaren Russland der Zukunft" sprach. Putin hatte sogar Angst, seinen Namen laut auszusprechen. Er wird nach seiner Wiederwahl länger regieren als Stalin.

Eine Frau hält ein Porträt von Alexej Nawalny und ein Buch mit dem Titel «Ein Heiliger gegen das Reich» in der Hand, während sich Menschen vor Kirche zu Ehren der Gottesmutterikone «Lindere meine Trauer» im südöstlichen Bezirk Marjino zur Beisetzung des Kremlgegners versammeln.
Sich bei der Beisetzung des Kreml-Gegners Nawalny zu versammeln, dazu gehört Mut. Bildrechte: picture alliance/dpa/AP | Uncredited

Im Gegensatz zu vielen deutschen, betulichen TV-Berichten über Russland kann diese Produktion des rbb für ARTE damit punkten, den Russen, die im Land geblieben sind, näher zu kommen. Beeindruckend: der Kampf der Mütter und Ehefrauen, um ihre Söhne und Männer, die an die Front mussten und trotz anderslautender Versprechen auch in die ersten Linien geschickt werden.

Wie schnell russische Propagandisten gleich "Sodom und Gomorra" heraufbeschwören, wird deutlich, wenn eine wilde Silvesterparty in einem Moskauer Nobelclub schnell als "antirussisch" diffamiert wird. So nackt waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der "Always Naked"-Party auch nicht. Nun sind eine Star-Influencerin und viele ihrer Follower im offiziellen Russland in Ungnade gefallen. Der bekannte queere DJ Raummeister, der einst in dem Club auflegte, ist längst nach Berlin geflohen.

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Tracks East: "Russland 2024 – Proteste, Parties, Mord"
Aktuelle Reportagen
rbb / ARTE 2024

Zu sehen in der ARD Mediathek bis 7. März 2025

"Lenin – Weg in den Terror": Spannende Geschichtsstunde

Immer noch hält sich bei einigen Alt-Linken und Russland-Verklärern der Mythos: Lenin sei noch ein echter Revolutionär und Kommunist gewesen und nur Stalin habe mit seinem Terror die Ideale des Kommunismus verraten. "Lenin – Weg in den Terror" erinnert an den machtbesessenen Lenin, der auch alte Genossen und die demokratischen Sowjet-Räte ausschaltete. Der Slogan: "Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns" diente dann zur Legitimierung des Roten Terrors im blutigen und brutalen Bürgerkrieg. 

Zu Beginn der Fernseh-Dokumentation versucht Wladimir Putin, den Überfall auf die Ukraine mit der Behauptung zu legitimieren, dass es das Land historisch eigentlich nie gegeben habe, sondern dass es nur ein Konstrukt Lenins sei, als der die Selbstbestimmung der Völker innerhalb der Sowjetunion propagierte. Es ist nur eine weitere Vereinfachung im Weltbild des Diktators, der wieder von einem Großrussland träumt. 

Wladimir Iljitsch Lenin
Eine spannende Geschichtsstunde verspricht die Doku "Lenin – Weg in den Terror". Bildrechte: rbb/NOAHFILM

"Lenin – Weg in den Terror" ist vor allem eine Geschichtsdoku, die zunächst an den Putsch der Bolschewiki in Petrograd 1917 erinnert, dabei die Propagandabilder aus Sergej Eisensteins Agitpropfilm "Oktober" als Inszenierung entlarvt. Einen breiten Raum nimmt der verheerende Bürgerkrieg ein, erste Hungersnöte durch den Krieg gegen die "Kulaken" als Großgrundbesitzer. Nach dem Attentat auf Lenin durch die Sozialrevolutionärin Fanny Kaplan 1922 beginnt dann der Rote Terror und es folgt ein bisher nie gesehener Personenkult. Deutlich wird auch, wie ein gesundheitlich geschwächter Lenin noch zu Lebzeiten von Stalin entmachtet wurde.

Die in der Doku zu Wort kommenden Historikerinnen aus Deutschland und der Ukraine sowie ihre männlichen Kollegen aus Großbritannien zeichnen ein mitunter zu einseitiges Bild Lenins und der Bolschewiki. Lenin selbst hätte man auch ausführlicher, komplexer und differenzierter zeigen können. Gerade der Weiße Terror wird oft nur in Nebensätzen im Off-Kommentar erwähnt. Dennoch stimmt der Ansatz. Mit Lenin wurde der Terror auch gegen die Zivilbevölkerung etabliert, der sich in den brutalen Angriffskriegen Russlands bis heute fortsetzt.

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"Lenin – Weg in den Terror"
Doku, rbb 2024

Zu sehen in der ARD Mediathek bis 15. Januar 2025

"20 Tage in Mariupol": Oscar-prämierte Doku über Russlands Vernichtung einer ukrainischen Stadt

Der Oscar-prämierte Dokumentarfilm "20 Tage in Mariupol" erinnert uns daran, wie brutal und unerwartet der Krieg in der Ukraine Zivilisten trifft. Er zeigt dabei auch, wie brutal und menschenverachtend die russische Armee kämpft. Die russischsprachige Bevölkerung der einst so wichtigen Industriestadt wird dabei von den russischen Staatsmedien zynisch verhöhnt.

Regisseur, Journalist und Kriegsreporter Mstyslav Chernov sagte es bei der Oscar-Verleihung deutlich: Er wünschte, er hätte den Film nie gemacht und Russland hätte nie sein Heimatland überfallen und allein in Mariupol Zehntausende Zivilisten getötet. Was Mstyslav Chernov filmen muss, ist oft unerträglich. Man sieht Kinder, die im Krankenhaus sterben, verzweifelte Zivilisten, die ihre Angehörigen vermissen. Es geht dem Filmteam darum, der Welt den Schrecken des Krieges und die Brutalität der russischen Armee vor Augen zu führen. Und der Filmemacher weiß, dass diese Bilder wehtun.

Bombardierung einer Entbindungsklinik
Mstyslav Chernovs Fotos der russischen Gräueltaten in Mariupol, u.a. von der Bombardierung einer Entbindungsklinik, gingen um die Welt. Für seine Berichterstattung aus der belagerten Stadt erhielt er den Pulitzerpreis. Bildrechte: SWR/Mstyslav Chernov

"20 Tage in Mariupol" ist ein zutiefst humanistischer Film, der auch die Solidarität unter den Ukrainern zeigt. Man sieht, wie unerwartet ein Krieg Menschen trifft, wie schnell Panik ausbricht, auch geplündert wird und überall nur Verwüstung herrscht. In New York wurde "20 Tage in Mariupol" in der UNO vor über 100 Politikern gezeigt und man müsste ihn auch im deutschen Bundestag vorführen. Wer nach diesem erschütternden Werk, Putins Russland und den brutalen Krieg gegen Zivilisten immer noch verteidigt, macht sich selber zum Zyniker und Verharmloser.

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"20 Tage in Mariupol"
Oscar-prämierter Dokumentarfilm von Pulitzer-Preisträger Mstyslav Chernov
Ukraine/USA 2023

Zu sehen in der ARD Mediathek bis 19. Mai 2024

"Wir könnten genauso gut tot sein": Surrealer Film über Angst und Sicherheitswahn

Geboren in einer Hochhaussiedlung am Rande von Sankt Peterburg kam Regisseurin Natalia Sinelnikova 1996 mit ihrer Familie als russisch-jüdischer "Kontingentflüchtling" nach Deutschland. Ihr Spielfilm-Debüt ist eine utopisch-surreale Parabel, die den Zuschauer in eine idyllische Hochhausanlage mitten im Wald führt. Nur dort scheint sicheres Leben möglich. Doch wer in der Mustersiedlung leben will, muss sich strengen Regeln unterwerfen.

Als ein Hund verschwindet, gerät ausgerechnet die Sicherheitsbeamtin Anna in den Verdacht, das Tier beseitigt zu haben. Aus Misstrauen erwächst Angst, aus Angst blanker Hass ... Sinelnikova gelingt eine komplexe und originelle Etüde über Sicherheitswahn, die auch zeigt, wie Utopien in eine Diktatur umschlagen.

Eine Frau in Uniform
Um Sicherheitswahn und Diktatur kreist das beeindruckende Spielfilm-Debüt von Natalia Sinelnikova "Wir könnten genauso gut tot sein". Bildrechte: rbb/HEARTWAKE Films/Jan Mayntz

Die Eltern der Regisseurin wollten, dass ihre Kinder in einem sicheren Land aufwachsen, frei von einer korrupten Regierung, von mafiösen Strukturen, von Antisemitismus und von Angst. Was jedoch eine postsowjetische Kindheit mit sich bringt, welche unterschwelligen und manifesten Ängste sich nicht so leicht beherrschen lassen, unterstreicht dieser originelle Spielfilm. Die postsowjetischen Einflüsse sind in "Wir könnten genauso gut tot sein" omnipräsent, auch hierzulande sehnen sich immer mehr verunsicherte Deutsche nach autoritären Strukturen und Hierarchien zurück. Mit diesen Dämonen der Vergangenheit und Gegenwart geht dieses Regie-Debüt spielerisch, souverän und unterhaltsam um.

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"Wir könnten genauso gut tot sein"
Deutsch-rumänischer Spielfilm, 2022
Heartwake Films (Berlin)

Zu sehen in der ARD Mediathek: bis 4. Juni 2024

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. März 2024 | 08:40 Uhr

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